Dialekt

Autor: Dr. Manfred Renn

Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe

  • Augsburg liegt am Ostrand der ostschwäbischen Sprachlandschaft, die zum Großmundartraum des Alemannischen zu zählen ist, welcher den gesamten Südwesten des deutschen Sprachgebiets umfasst. Ausschlaggebend für diese Zuordnung ist v. a., dass mittelhochdeutsch a 'unverdumpft' ist, dass die mittelhochdeutschen Umlaute ä/æ als e-Laute realisiert werden, dass der Auslaut -en vokalisiert ist, dass mittelhochdeutsch ei als oi erscheint und dass die Diminutive mit -le bzw. -la gebildet werden.

    Augsburg liegt aber an der Nahtstelle zum bairischen Mundartraum, der Altbayern und den größten Teil Österreichs einnimmt. Diese sprachgeographische Position, die reichsstädtische Geschichte und der Einfluss der Standardsprache dürften Ursache dafür sein, dass sich die heute erhaltene Dialektschicht der Augsburger Kernstadt in vielen Elementen deutlich von den umgebenden Landdialekten und teilweise auch von den Dialekten der städtischen Außenbezirke abhebt. Schon im 19. Jahrhundert hatte der Sprachforscher Birlinger Dialektunterschiede innerhalb der damaligen Stadt Augsburg festgestellt, wobei er die 'ächte Mundart' in der protestantischen Jakobervorstadt, vorzugsweise innerhalb der Metzgerinnung, am besten erhalten sah.

    Sprachinselartig unterscheidet sich heute die städtische Dialektnorm u. a. von folgenden landdialektalen Elementen der Umgebung: 1) Die Entsprechungen zu mittelhochdeutsch ô, œ, ê werden im Umland einheitlich als Diphthonge gesprochen, z. B. hoαch, bäαs, Schnäα (hoch, böse, Schnee), stadtdialektal aber in der Regel als Monophthonge: hooch, bees, Schnee. In den Stadtteilen Göggingen, Haunstetten, Inningen und Kriegshaber ist bei den älteren Sprechern die ländliche Aussprache gängig. 2) Für 'gestern' kennt man im ganzen Umland, einschließlich der südlichen Stadtteile, ein altes Adverb nächt (im Westen und Südosten) und nacht (im übrigen Osten), welches in der Kernstadt nicht verstanden wird. 3) Für 'nicht' gilt städtisch nur die Form ned oder nedα, in den südlichen Stadtteilen und im ganzen Umland aber Formen ohne Nasalanlaut: id bzw. idα im Westen, eed oder eeid im Osten. 4) Bei den Verbformen 'haben', 'ich habe' stehen dem städtischen haabα, i haab verschiedene ländliche Lautungen mit teilweise anderer Etymologie gegenüber: hãũ, i hãũ (< mittelhochdeutsch hân) im Westen und Süden, haawα, i hãũ im Lechrain ab Mering, håm, i hoo im Osten. Für 'gehen' sind dem städtischen zweisilbigen gee-α rundum andere, einsilbige Typen entgegenzusetzen: im Westen gãũ (< mittelhochdeutsch gân), im Osten geα (< mittelhochdeutsch gên). Beim Verb 'stehen' entsprechen dem städtischen stee-α auch mehrere ländliche Formen: standα im Nordwesten, stãũ (< mittelhochdeutsch stân) im Westen und Süden, steα (< mittelhochdeutsch stên) im Osten. 5) In der Augsburger Kernstadt ist germanisch h zwischen Vokalen aufgegeben, im Umland ist es als ch erhalten: z. B. häαchr und Zäαchα für 'höher' und 'Zehe'. 6) Der städtischen Wochentagsbezeichnung 'Dienstag' stehen im Westen und Südosten der Typ 'Aftermontag' in verschiedenen Lautungen (z. B. Afdrmeede) und im Osten der Lauttyp Mörαda (< am Ertag, historisch wohl: 'am Tag des Gottes Ares') gegenüber. Für 'Donnerstag' ist unmittelbar östlich von Augsburg Pfinztα in Gebrauch, in dem griechisch pente ('der fünfte') steckt.

    Die landdialektalen Abweichungen gegenüber dem Stadtdialekt sind je nach umgebender Landschaft sehr unterschiedlich ausgeprägt, und in vielen Fällen stimmt der Stadtdialekt mit einem umgebenden Landdialekt überein. Nach einer Untersuchung zu etwa 80 für den Raum Augsburg relevanten Sprachmerkmalen sind die dialektalen Übereinstimmungen des Augsburger Stadtdialekts mit dem bairischen Nordosten am geringsten (in 15 % bis 20 % der Merkmale), während mit dem schwäbischen Westen in etwa 50 % Übereinstimmung besteht; für die neueingemeindeten Stadtteile im Südwesten (Bergheim, Inningen, Göggingen) erhöht sich dieser Wert auf 55 % bis 70 %.

    Die wichtigsten Dialektunterschiede zum bairischen Nordosten: 1) Mittelhochdeutsch ei: broαt, hoαß, hoαm statt broit, hoiß, hoim. Im Stadtteil Lechhausen trifft man bei diesem Element, vor allem bei der älteren Generation, noch auf Reflexe der 'altbairischen' Geschichte. 2) 'Verdumpfung' von mittelhochdeutsch a zu å (Wåssα, måchα für 'Wasser', 'machen') oder, wenn der Laut gelängt ist, zu o (Booch, Woong, soong für 'Bach', 'Wagen', 'sagen'), 3) 'helles' a für die mittelhochdeutschen Umlaute ä und æ, z. B. Maadl oder Maalα statt Määdle, Glaasla statt Glääsle, i daad statt i dääd, 4) erhaltener, teilweise aber assimilierter Nasalauslaut -en, wofür im Schwäbischen und in Augsburg nur ein indifferenter Vokal erscheint, z. B. Groom, soong, reedn statt Graabα, saagα, reedα, 5) die Personalpronomen ees 'ihr' und enk 'euch' (ehemalige Dualformen), die überall östlich des Lechs, aber nicht in den Augsburger Stadtteilen Lechhausen und Hochzoll in Gebrauch sind. Als erstarrtes Verbflexiv der zweiten Person Plural ist ees in den letzten Jahren kräftig nach Augsburg und ins weitere schwäbische Sprachgebiet exportiert worden (z. B. habds iαr ...?, kommts mit!). 6) Ortsadverbpaare wie dent-drent 'drüben'-'herüben'; dafür in Augsburg driib-heriib, 7) die bairische Diminutivformen -αrl, -αl, -l statt schwäbisch -le oder -lα. Sie beginnen grunddialektal erst östlich von Aichach, sind aber bereits vielfach in der Augsburger Umgangssprache festzustellen, z. B. in der Gastronomie: Stüberl, Schmankerl, Ripperl, Würstl, Haferl, Stamperl. Besserer Altaugsburger Sprachgebrauch wäre dafür: Stüble, Würstle, Ripple u. ä.

    Einige der hier angeführten bairischen Elemente, wie die Pronomen ees/enk und die Adverbien dent/drent sind auch in den lechrainischen Dialekten um Kissing, Mering heimisch. In der Lautung, besonders im Vokalismus, stimmt diese Landschaft aber weit mehr mit Augsburg überein.

    Der schwäbische Westen unterscheidet sich vom Augsburger Stadtdialekt im Folgenden: 1) Die Diphthonge aus mittelhochdeutsch î/iu, û werden ei, ou ausgesprochen, z. B. Zeit, Heisr, Hous statt städtisch und bairisch Zaet, Haesr, Haos (Zeit, Häuser, Haus). Die südlichen Stadtteile und Stadtbergen gehen in diesem Element mit dem westlichen Umland. 2) Die ui-Diphthonge (< althochdeutsch iu) in Fuir, Stuir, huir, uirα (Feuer, Steuer, heuer, euer) sind nur noch im westlichen und nördlichen Umland in Gebrauch, in den südlichen Stadtteilen sind sie noch bekannt. In der Kernstadt und östlich davon gilt die Aussprache Fae-αr, hae-αr usw. 3) Die Aussprache von gedehntem germanischem e ist diphthongisch, z. B. Läαbr, Näαbl (Leber, Nebel) gegen Leebr, Neebl in Augsburg und im Bairischen. 4) Alte einsilbige Wörter auf Nasal + Konsonant wie 'Hund', 'Kind', 'krank' werden von Neusäß ab nach Nordwesten gedehnt mit Nasalschwund ausgesprochen: Hõõd, Kêêd, grããg, was im Kernstadtbereich kaum verstanden wird. 5) Bei bestimmten Verben sind alte Kontraktionsformen erhalten, z .B. seet, gseet, ghet, dreet, wofür im Augsburger Stadtdialekt nur sagt, gsagt, ghabt, dragt möglich ist. 6) Statt des 'schwäbischen Einheitsplurals' auf -αt (miαr saagαt, iαr kommαt, si faarαt) gilt in der Stadt und im unmittelbaren Umland saagn, kommt, faarn.

    Wie in anderen Räumen um Großstädte ist auch für Augsburg festzustellen, dass der Stadtdialekt zunehmend die alltägliche Umgangssprache im Umland beeinflusst, im Augsburger Raum ist davon der Westen mehr als der Osten betroffen.

Literatur:

Anton Birlinger, Die Augsburger Mundart, 1862

Eduard Nübling, Der Lechrain als sprachliche Saumlandschaft zwischen den süddeutschen Großmundarten Bairisch und Schwäbisch-Alemannisch, in: Forschungen zur schwäbischen Geschichte, 1991, 235-315

Manfred Renn, Die Mundart im Raum Augsburg, 1994.